"Du kannst nicht das nächste Kapitel deines Lebens beginnen, wenn du ständig den letzten Abschnitt wiederholst."
Im folgenden Artikel soll es darum gehen, wie wir durch das Praktizieren von Akzeptanz und Vergebung vergangene Erfahrungen loslassen und mehr Leichtigkeit in unser Leben bringen können. Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) bietet wichtige Werkzeuge, die uns helfen können, unsere Gefühle bedingungslos zu akzeptieren. Vergebung hilft uns, negative Gefühle gegenüber einer Person, die uns Unrecht getan hat zu verarbeiten und Frieden zu schließen und mithilfe von Achtsamkeit können wir lernen, uns besser im Hier und Jetzt zu verankern.
Indem wir die Vergangenheit hinter uns lassen, befreien wir uns von negativen Gefühlen, die mit alten Verletzungen verbunden sind. Wir erkennen, dass uns diese Gefühle nicht mehr weiterhelfen und schaffen Platz für positive Gefühle, wie Freude, Dankbarkeit und Zufriedenheit. Wenn wir diese Last ablegen, erfahren wir nicht nur eine emotionale Befreiung, sondern öffnen uns auch für neue Chancen, unser Leben gesünder und erfüllter zu gestalten. Hier sind einige der wichtigsten Vorteile, die das Loslassen mit sich bringt:
Obwohl Loslassen viele Vorteile mit sich bringt, fällt es uns oft schwer, vergangene Erfahrungen hinter uns zu lassen. Hier sind einige Gründe, warum uns das Loslassen so schwerfällt:
"Da Vergänglichkeit für uns gleichbedeutend ist mit Schmerz, klammern wir uns verzweifelt an die Dinge, obwohl sie sich ständig ändern. Wir haben Angst loszulassen, wir haben Angst, wirklich zu leben, weil leben lernen loslassen lernen bedeutet.
Es liegt eine tragische Komik in unserem Festhalten: Es ist nicht nur vergeblich, sondern es beschert uns genau den Schmerz, den wir um jeden Preis vermeiden wollten."
Um zu verstehen, wie wir trotz dieser Herausforderungen loslassen und nach vorne blicken können, ist es sinnvoll, sich bestimmte Aspekte des Loslassens genauer anzusehen. Ein Aspekt, der häufig mit Loslassen einhergeht ist Akzeptanz [1].
Akzeptanz bedeutet, die Realität der Situation anzunehmen und offen, empfänglich, flexibel und nicht wertend gegenüber der Erfahrung im jeweiligen Moment eingestellt zu sein [1], [3]. Bezogen auf unsere Vergangenheit könnte das bedeuten, dass wir eine offene Einstellung gegenüber dem Erlebten kultivieren und unsere damit verbundenen Gefühle offen wahrnehmen. Wir vermeiden nicht diese Gefühle, sondern setzten uns aktiv mit ihnen auseinander.
In der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) spielen Akzeptanz und die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen eine zentrale Rolle. Diese Therapieform ermutigt Personen dazu, ihre eigenen Gefühle und Gedanken anzunehmen, anstatt sie zu bekämpfen oder sich für sie schuldig zu fühlen [4].
Empfindungen einfach anzunehmen - so unangenehm, sie auch sein mögen – hat einige Vorteile. Häufig merken wir, dass unangenehme Gefühle, Gedanken und auch Erinnerungen mit der Zeit weniger intensiv werden, wenn wir ihnen einfach den Raum geben, da zu sein.
Akzeptanz kann auch unseren „schmutzigen“ Schmerz reduzieren. So wird laut der ACT der Schmerz bezeichnet, den wir erfahren, wenn wir unseren „sauberen“ Schmerz, der eine natürliche Reaktion auf unsere negative Erfahrung ist, kontrollieren, eliminieren und vermeiden möchten. Das Vorgehen, unsere eigenen Gefühle und Erlebnisse zu verdrängen, führt laut ACT zu nur noch mehr Schmerz. Unser sauberer Schmerz ist jedoch - im Gegensatz zu dem schmutzigen Schmerz, den wir uns selbst erschaffen – eine normale und gesunde Erfahrung. Indem wir unseren sauberen Schmerz akzeptieren und nicht mehr verdrängen oder wegschieben wollen, können wir unseren schmutzigen Schmerz reduzieren.
Akzeptanz ist für Veränderung entscheidend. Zu akzeptieren bedeutet nicht, veränderbare Situationen unverändert zu lassen. Stattdessen macht Akzeptanz Veränderung möglich. Wenn wir akzeptieren, dass wir eine Situation nicht verändern können, bleiben wir nicht in dieser Situation gefangen, sondern können sie loslassen. Nicht zu akzeptieren ist was uns möglicherweise an alten Mustern und starren Gewohnheiten festhalten lässt, die uns nicht länger nutzten. Wir können erst neue Dinge probieren, wenn wir erkennen, dass unsere alten Wege nicht länger zielführend sind.
Laut ACT ist die Bereitschaft, mit stressigen Erfahrungen oder Situationen, Ereignissen oder Interaktionen, die solche Erfahrungen hervorrufen könnten, in Kontakt zu treten, entscheidend für Akzeptanz. Der erste Schritt zur Akzeptanz ist, bereit zu sein, sich diesen Situationen zu stellen. Dabei müssen wir diese Erfahrungen nicht mögen, es geht einfach nur darum, das anzunehmen, was man gerade erlebt [3].
Akzeptanz lässt sich sehr gut durch die Praktik der Achtsamkeit üben [1]. Achtsam zu sein bedeutet, im Moment zu sein und aktiv wahrzunehmen, was um einen herum passiert. Es ist ein Zustand, in dem wir unsere Gefühle wahrnehmen, ohne über sie zu urteilen [5]. Im Folgenden möchte ich Sie zu einer kleinen Übung einladen, die uns dabei hilft, unsere Emotionen achtsam wahrzunehmen und zu akzeptieren:
Diese Übung lässt sich bezogen auf jegliche negativen Gefühle durchführen. Egal, ob es sich um Stress wegen gegenwärtigen Problemen, Sorgen um die Zukunft oder Schuldgefühlen aus der Vergangenheit handelt. Achtsamkeit hilft uns, uns im gegenwärtigen Moment zu verankern.
Eine der wichtigsten Schritte beim Loslassen ist es, unsere Gefühle anzuerkennen und zu verarbeiten. Denn wenn wir unsere Gefühle wegschieben und ignorieren, verlängern wir unser emotionales Leid. Wir haben gesehen, wie die Akzeptanz unserer Gefühle uns bei diesem Prozess unterstützen kann. Achtsamkeit ist ein guter Weg zur Akzeptanz, aber es gibt auch noch weitere Wege, die ich hier kurz vorstellen möchte.
"Der erste Schritt in Richtung Veränderung ist Erkenntnis. Der zweite Schritt ist Akzeptanz."
Vergebung wird als eine der 24 Charakterstärken in der positiven Psychologie angesehen. Sie beinhaltet, dass wir Verständnis für diejenigen zeigen, die uns Unrecht getan oder uns verletzt haben. Vergeben bedeutet, Frustration, Enttäuschung, Groll oder andere schmerzhafte Gefühle, die mit einem Vergehen verbunden sind, loszulassen. Wenn wir vergeben, dann akzeptieren wir die Unzulänglichkeiten, Fehler und Unvollkommenheiten anderer und geben ihnen eine weitere Chance. Wir zeigen den Personen, die uns verletzt haben Mitgefühl, anstatt uns zu rächen. Dabei geht es nicht darum, schlechtes Verhalten zu billigen, zu vergessen oder sich mit der Person, die dieses Verhalten zeigte zu versöhnen. Es geht lediglich darum, nicht mehr weiterhin an negativen Gefühlen festzuhalten [7].
Vergebung ist eine Entscheidung, die wir treffen. Auch wenn wir nicht unbedingt vollständig vergeben und es seine Zeit braucht, bis wir negative Gefühle wirklich loslassen können, kann sie entscheidende positive Effekte auf unsere Gesundheit und unser psychisches Wohlbefinden haben.
So führt Vergebung zum Beispiel zu folgenden Vorteilen:
Im Allgemeinen wirkt sich Vergebung positiv auf unsere physische [9] und psychische Gesundheit [10], sowie auf unsere Lebenszufriedenheit [11] aus. Sie stellt positive Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen gegenüber der Person, die verletzend war, wieder her und bringt die Beziehung in ihren früheren positiven Zustand zurück. Diese positiven Effekte breiten sich auch außerhalb dieser Beziehung aus. Die vergebende Person verhält sich im Generellen positiver gegenüber anderen, zum Beispiel indem sie hilfsbereiter gegenüber anderen ist und sich mit ihnen verbunden fühlt. Vergebung erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von altruistischem Verhalten, wie Spenden für wohltätige Zwecke [12], [8].
Weitere Studien konnten zeigen, dass Personen, die vergeben, zu reflektierendem Denken neigen und eine niedrigere Tendenz für Grübeleien haben. Grübeleien, die während einer Depression in Form von repetitivem Denken auftreten, kritisches Denken über sich selbst und andere und reflektierende Grübelei und die Auseinandersetzung mit den Ursachen der eigenen Gefühle treten weniger häufig auf. Vergebung reduziert auch häufige psychologische Probleme, wie Ängste und Depressionen [8].
Im Gegensatz dazu haben das Wiedererleben schmerzhafter Erinnerungen und das Hegen von Groll negative Auswirkungen auf das emotionale Wohlbefinden und die körperliche Gesundheit derjenigen, die ihn bewahren. Eine Studie von Witvliet et al. (2001) konnte zeigen, dass Personen, die sich vorstellten, einer Person, die ihnen Unrecht getan hat, nicht zu vergeben, vermehrt negative Emotionen wie Wut und Traurigkeit fühlten, erregt waren und ein geringeres Gefühl von Kontrolle erlebten, als diejenigen, die sich vorstellten, dieser Person zu vergeben. Die negativen Gefühle, die durch die Vorstellung negativer Erlebnisse entstanden, wirkten sich auch auf den Körper aus, in Form einer erhöhten Herzfrequenz und eines erhöhten Blutdrucks [13].
Nachdem wir nun die positiven Aspekte der Vergebung betrachtet haben, stellt sich die Frage, wie wir selbst lernen können, zu vergeben. Wie leicht es uns fällt, anderen zu vergeben, hängt auch von unserer individuellen Persönlichkeit ab. Manche von uns sind nachsichtiger, während es anderen schwerer fällt, zu vergeben. Es kommt auch darauf an, wie schwer das Vergehen der anderen Person war und wie ungerecht wir es empfinden. Je ungerechter ein Vergehen für uns ist, desto schwerer fällt es uns, zu vergeben [8].
Dennoch können wir selbst aktiv etwas dafür tun, zu vergeben und die Vergangenheit loszulassen. Wir können uns entscheiden, Mitgefühl mit dem Täter zu zeigen.
McCullough (2008) argumentiert, dass die Sichtweise der anderen Person einzunehmen einer der effektivsten Wege ist, Vergebung zu üben, da man sich auf einer menschlichen Ebene mit dem „Missetäter“ verbinden kann [14]. Mehrere Studien konnten zeigen, dass Empathie, die mit der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme zusammenhängt, ein Aspekt ist, der die Fähigkeit zur Vergebung fördert [15]. Empathie kann als eine feste Persönlichkeitseigenschaft angesehen werden, sie verändert sich aber auch je nach Situation. Eine grundsätzlich sehr empathische Person ist über Situationen hinweg empathischer als eine grundsätzlich weniger empathische Person, aber es gibt trotzdem Situationen in der sie mehr Empathie zeigt als in anderen [16].
Wie leicht es uns fällt, jemandem zu vergeben, hängt also auch von der Situation ab. Wenn sich unser gegenüber bei uns entschuldigt, dann fällt es uns leichter, uns in die andere Person hineinzuversetzen, empathisch zu sein und zu vergeben. Ohne eine Entschuldigung fällt es uns deutlich schwerer [17].
Aber auch wenn sich die andere Person nicht (mehr) bei uns entschuldigen kann oder möchte, können wir durch gezielte Techniken üben, uns besser in die andere Person hineinzuversetzen. Vergebung ist nie einfach und es kann einige Zeit dauern, bis wir dazu bereit sind und unsere negativen Gefühle endgültig loslassen können.
Ein häufiges Modell, das genutzt werden kann, um Vergebung zu üben ist das REACH Modell von Worthington. Hier ist das Üben von Empathie eine zentrale Komponente. Dieses Modell umfasst folgende 5 Schritte:
Fred Luskin, der die Stanford University Forgiveness Projects leitet und Professor am Institut für transpersonale Psychologie ist, hat ebenfalls eine Übung zur Vergebung entwickelt: Die 9 Schritte zur Vergebung. Diese Übung möchte ich Ihnen ebenfalls kurz vorstellen.
Wenn wir der anderen Person verziehen haben, wird sich dies darin zeigen, dass negative Gefühle wie Wut, Groll und Rachegedanken von positiven Gefühlen wie Empathie, Mitgefühl und Verständnis abgelöst werden. Vergebung ermöglicht es uns, nicht nur die Last der negativen Emotionen loszulassen, sondern auch, eine neue Perspektive auf die Situation und den Täter zu gewinnen. Es ist ein Prozess der Heilung, der uns hilft, inneren Frieden zu finden und die Verbindung zu uns selbst und anderen zu stärken.
"In gewisser Weise bedeutet Vergebung bisweilen einfach, dass wir beschliessen, den Hass in unserem Inneren nicht länger mitzuschleppen, weil wir begriffen haben, dass er uns vergiftet."
Loslassen bedeutet nicht, die Vergangenheit zu vergessen, sondern aus ihr zu lernen, ohne sich von ihr festhalten zu lassen. Durch Akzeptanz, Achtsamkeit und Vergebung können wir uns von alten Belastungen befreien und neue Möglichkeiten willkommen heißen. Uns selbst zu vergeben ist ebenfalls wichtig. Oft tragen wir Schuldgefühle mit uns herum – für Dinge, die wir nicht abschließen konnten oder für Fehler, die wir nicht wiedergutmachen konnten. Doch indem wir uns selbst vergeben und aus diesen Erfahrungen lernen, nehmen wir nicht nur Abschied von der Vergangenheit, sondern gewinnen auch wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft.
"Wer glücklich reisen will, reise mit leichtem Gepäck."
[1] Beyond Healing. (2024, 15. November). The Psychology of Letting Go. Beyond Healing Counseling. https://beyondhealingcounseling.com/the-psychology-of-letting-go/
[2] Carey, T. A. (2022, 03. Dezember). Do You Have Trouble Letting Go?. Psychology Today. https://www.psychologytoday.com/intl/blog/in-control/202212/do-you-have-trouble-letting-go
[3] Hayes, S. C., Strosahl, K. D., & Wilson, K. G. (2012). Acceptance. In Acceptance and Commitment Therapy: The Process and Practice of Mindful Change (2. Aufl.). The Guilford Press.
[4] Ackerman, C. E. (2017, 01. März). How Does Acceptance And Commitment Therapy (ACT) Work?. PositivePsychology.Com. https://positivepsychology.com/act-acceptance-and-commitment-therapy/
[5] Was ist Achtsamkeit?. (o.J.). achtsam leben. https://www.achtsamleben.at/was-ist-achtsamkeit/
[6] Vivyen, C. (2010). Mindfulness of Emotions (PDF). Getselfhelp.co.uk. http://media.wix.com/ugd/89f912_a80444ed7f6e48a28b47ca94c2d546fa.pdf
[7] Forgiveness. (o. J.). VIA Institute on Character. https://www.viacharacter.org/character-strengths/forgiveness
[8] Souders, B. (2019, 04. Juli). What is Forgiveness? (+9 Science-Based Benefits). PositivePsychology.Com. https://positivepsychology.com/forgiveness-benefits/
[9] Worthington, E. L., & Scherer, M. (2004). Forgiveness is an emotion-focused coping strategy that can reduce health risks and promote health resilience: Theory, review, and hypotheses. Psychology & Health, 19(3), 385–405. https://doi.org/10.1080/0887044042000196674
[10] Enright, R. D., & Fitzgibbons, R. P. (2000). Helping clients forgive: An empirical guide for resolving anger and restoring hope. American Psychological Association. https://doi.org/10.1037/10381-000
[11] Karremans, J. C., Van Lange, P. A. M., Ouwerkerk, J. W., & Kluwer, E. S. (2003). When forgiving enhances psychological well-being: The role of interpersonal commitment. Journal of Personality and Social Psychology, 84(5), 1011–1026. https://doi.org/10.1037/0022-3514.84.5.1011
[12] Karremans, J. C., Van Lange, P. A. M., & Holland, R. W. (2005). Forgiveness and Its Associations With Prosocial Thinking, Feeling, and Doing Beyond the Relationship With the Offender. Personality and Social Psychology Bulletin, 31(10), 1315–1326. https://doi.org/10.1177/0146167205274892
[13] Witvliet, C., Ludwig, T., & Laan, K. (2001). Granting Forgiveness or Harboring Grudges: Implications for Emotion, Physiology, and Health. Psychological Science, 12, 117–123. https://doi.org/10.1111/1467-9280.00320
[14] McCullough, M. E. (2008). Beyond revenge: The Evolution of the Forgiveness Instinct. Jossey-Bass.
[15] Snyder, C. R., Lopez, S. J. (2002). Handbook of Positive Psychology. Oxford University Press.
[16] Benjamin M.P. Cuff, Sarah J. Brown, Laura Taylor, Douglas J. Howat: Empathy: A Review of the Concept. In: Emotion Review. Band 8, Nr. 2, April 2016, S. 144–153, https://doi.org/10.1177/1754073914558466
[17] Bono, G., McCullough, M. E., & Root, L. M. (2008). Forgiveness, Feeling Connected to Others, and Well-Being: Two Longitudinal Studies. Personality and Social Psychology Bulletin, 34(2), 182–195. https://doi.org/10.1177/0146167207310025
[18] Marsh, J. (2010, 24. August). Fred Luskin Explains How to Forgive. Greater Good Magazine.https://greatergood.berkeley.edu/article/item/fred_luskin_explains_how_to_forgive
Zitate:
https://winpat-mental.com/zitate-zum-loslassen/