Selbstwirksamkeit: Wie Sie lernen Ihren Fähigkeiten zu vertrauen

Ob du denkst du kannst es oder du kannst es nicht – du wirst auf jeden Fall Recht behalten.

Henry Ford

Stellen Sie sich folgende Situation in der Schule vor: Tim und Max schreiben eine Matheprüfung. Als Sie ihre Ergebnisse erhalten, erreicht Tim eine gute und Max eine schlechte Bewertung. Tim fühlt sich in seinen Mathefähigkeiten bestätigt, er glaubt dass ihm Mathe einfach liege. Max hingegen schiebt die Ursache für seinen Misserfolg auf die Fragestellungen, die aus seiner Sicht unklar formuliert waren. Er bezieht den Misserfolg nicht auf seine generellen Fähigkeiten in Mathematik, und hat Zuversicht beim nächsten Mal eine bessere Note zu erzielen.

In den unterschiedlichen Erwartungen der beiden Schüler hinsichtlich ihrer Kompetenz die Prüfung zu meistern, steckt das Konzept der Selbstwirksamkeit. Es wurde erstmals in den 1970er Jahren vom Kanadier Albert Bandura in seiner sozialkognitiven Theorie beschrieben. [1] Bandura verstand unter Selbstwirksamkeit das Ausüben einer Handlung um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen. Daraus ergibt sich das eng verwandte Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung. Dies bezeichnet die Erwartung an die eigene Fähigkeit diese Handlung mit dem gewünschten Resultat auszuüben.

Reflexion:

  1. Atmen Sie einige Male tief ein und langsam aus. Nutzen Sie dabei die gesamte Kapazität ihrer Lungen.
  2. In welchen Bereichen ihres Lebens erleben Sie sich aktuell als selbstwirksam? Das kann unter anderem in ihrer Rolle im Job, als Partner:in, Freund:in, Elternteil sein oder auch in ihren Hobbies.

Warum ist Selbstwirksamkeit so wichtig?

Selbstwirksamkeit ist mit einer Reihe von positiven Effekten verbunden. So zeigen Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung generell ein höheres Wohlbefinden und bessere Gesundheit. [2,3] Des Weiteren sind Menschen mit einer höheren Selbstwirksamkeitserwartung weniger anfällig für Depressionen und Angststörungen. Sie zeigen eine größere Ausdauer in der Bewältigung von Aufgaben und sind erfolgreicher in Ausbildung und Berufsleben. [4] Aufgrund dieser zentralen Rolle ist die direkte oder indirekte Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung häufig ein zentrales Therapieziel.

Wie entsteht Selbstwirksamkeitserwartung?

Bandura beschreibt vier verschiedene Quellen, welche die Selbstwirksamkeitserwartung über die Lebensspanne speisen. [1] Eine fünfte Quelle wurde später von James Maddux hinzugefügt. [5]

  1. Eigene Erfolgserlebnisse
    Die erfolgreiche Bewältigung einer schwierigen Situation hat das Potential dazu, die eigene Selbstwirksamkeitserwartung zu stärken. Man kann aus diesem Erfolgserlebnis Vertrauen schöpfen, in Zukunft ähnliche Situation auch erfolgreich zu meistern.
    Damit dies geschehen kann, müssen wir den Erfolg jedoch internal attribuieren – also erkennen, dass unsere Fähigkeiten für das positive Ergebnis verantwortlich sind.

    Bsp.: Nachdem Sie auf der Arbeit ein schwieriges Projekt erfolgreich abgeschlossen haben, ziehen sie daraus Zuversicht auch das bereits anstehende nächste Projekt erfolgreich anzugehen.

  2. Stellvertretende Erfahrungen
    Das Beobachten einer anderen Person, während diese eine Aufgabe erfolgreich meistert, erhöht die Erwartung, in Zukunft ähnliche Situationen auch zu meistern. Besonders bei uns nahestehenden Personen, Rollenvorbildern, oder Menschen zu denen wir Zuneigung verspüren, tritt dieser Effekt auf.

    Bsp.: Sie beobachten wie ihr:e Freund:in eine schwierige Prüfung erfolgreich absolviert und verspüren danach etwas mehr Zuversicht, dass Sie die Prüfung ebenfalls bestehen können.

  3. Verbale Ermutigungen
    Wenn uns Personen, zu denen wir eine enge persönliche Beziehung haben oder die wir als Rollenvorbilder wahrnehmen, in unserer Kompetenz eine Herausforderung zu meistern ermutigen, kann dies unsere Selbstwirksamkeitserwartung steigern. Wichtig ist dabei, dass diese Ermutigung von Personen kommt, zu denen wir positive, stabile, und tragfähige Beziehungen haben (z.B. Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Mentoren). Auch ist ein richtiges Maß an Fordern vs. Fördern zu beachten, sodass die Ermutigung nicht zur Überforderung wird. [4]

    Bsp: Ihr Chef, der Sie seit mehreren Jahren mit ihren Stärken und Schwächen kennt, ermutigt Sie, eine anstehende Präsentation zu übernehmen und erinnert Sie dabei an ihren Enthusiasmus und ihre präzise Ausdrucksfähigkeit. Sie fühlen sich dadurch überzeugter von ihren eigenen Fähigkeiten diese Herausforderung anzugehen.

  4. Körperliche Signale und emotionale Erregung
    Auch unser eigenes physiologisches Erregungslevel nimmt einen Einfluss auf unsere Selbstwirksamkeitserwartung. Erleben wir überwiegend positive Gefühle, so spüren wir generell eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung, als wenn wir überwiegend Stress und körperliche Anstrengung spüren. Es kann also sinnvoll sein unseren Stress und dessen körperliche Auswirkungen vor und während einer großen Herausforderung abzubauen.

    Bsp.: Sie bereiten sich auf eine schwierige Prüfung vor und Sie fühlen sich im Moment ausgeglichen in ihrem Leben. Die Prüfung sehen sie daher als machbare Herausforderung an. Überwiegen dagegen gerade Stress, Wut, und Traurigkeit weil Sie einen größeren Streit mit ihrem Partner hatten und sich einen Bänderriss beim Skifahren zugezogen haben, fühlt sich die Prüfung trotz ausreichend Zeit wahrscheinlich als höhere Hürde an.

  5. Imaginäre Erfahrung
    Wenn wir uns mental vorstellen, eine konkreten Situation erfolgreich zu meistern, steigt unsere Selbstwirksamkeitserwartung ebenso. Die Visualisierung des Erfolgs ist dabei ein Erfolgsanker.

    Bsp: Vor einer Gehaltsverhandlung mit ihrem Chef stellen Sie sich vor, wie Sie im Büro sitzen und ihrem Chef präzise und überzeugend darlegen, wieso Sie eine Gehaltserhöhung verdienen. Mit dieser positiven imaginären Erfahrung gehen Sie dann in das eigentliche Gespräch.

selbstwirksamkeit


Ein genauerer Blick – Selbstwirksamkeit und Ursachenzuschreibungen

Wie oben bei den „eigenen Erfolgserlebnissen“ bereits erwähnt, bestimmen die Ursachen, welche wir unseren Erfolgen und Misserfolgen zuschreiben, maßgeblich unsere Selbstwirksamkeitserwartung. Diese Ursachenzuschreibung von Ereignissen wird auch als Attribution bezeichnet.

Dabei unterscheidet man folgende Achsen, die im Folgenden an Beispielen zur Eingangssituation der beiden Schüler Tim und Max illustriert werden:

Internal vs. external: Liegt die Ursache des Ereignisses in meinem eigenen Verhalten oder in äußeren Faktoren?

Internale Attribution:

Externale Attribution:

Zeitlich stabil vs. zeitlich variabel: Ist das Ereignis generell so oder nur einmalig?

Zeitlich stabile Attribution:

Zeitliche variable Attribution:

Global vs. spezifisch: Ist das Ergebnis verallgemeinerbar für ähnliche Situation oder nur für diese Situation?

Globale Attribution:

Spezifische Attribution:

Die drei Achsen wurden oben zur Illustration zwar als polare Gegensätze von Extremen beschrieben, jedoch lassen sich die Achsen in der praktischen Anwendung eher als veränderbares Kontinuum verstehen. Das lässt sich schön mit der Metapher eines Schiebereglers illustrieren: Für jede der drei Achsen können Sie in Abstufungen – z.B. mehr oder weniger internal – die Ursachen ihrer Erfolge bzw. Misserfolge einordnen. [4] Das können Sie in der folgenden Übung selbst ausprobieren.

welle


Übung: Wie erklär ich mir die Welt?

Anleitung: Erinnern Sie sich an einen Misserfolg bzw. eine unschöne Erfahrung (I) und
anschließend an einen Erfolg bzw. eine schöne Erfahrung (II). Welchen Ursachen schreiben Sie dieses Erlebnis zu? Nutzen Sie für die Einschätzung die folgenden drei Achsen:

Bennen Sie diese Erinnerung mit einer Überschrift und überlegen Sie sich für alle drei
Achsen mögliche Ursachenzuschreibungen. Wo befinden Sie sich aktuell? Lassen sich Ihre Zuschreibungen verändern (wie bei einem Schieberegler)?

attribution

Tipp: Wie attribuiert man so, dass das Wohlbefinden steigt?

Laut Heller bietet sich folgendes Muster an [6]:

  1. Für eigene Erfolge ist eine internale Ursachenzuschreibung am Hilfreichsten.
    Bsp: „Ich kann das“ oder „Ich hab gut gelernt“

Für eigene Misserfolge bieten sich zwei Strategien an:
Einerseits kann ein Misserfolg internal und zeitlich variabel zugeschrieben werden. Dabei sieht man die Ursache des Misserfolgs in sich selbst, aber in einem veränderbaren vergangengen Verhalten und nicht in der eigenen Persönlichkeit.
Bsp: „Ich habe einfach nicht genug gelernt.“

Andererseits kann ein Misserfolg external attribuiert werden. Hier sieht man die Ursache des Misserfolgs im Außen.
Bsp: „Die Aufgabe war unfair.“ (external + zeitlich stabil)
Bsp: „Diesmal hab ich einfach Pech gehabt“ (external + zeitlich variabel)

Fazit

Hinter dem Konstrukt der Selbstwirksamkeitserwartung versteckt sich letztendlich eine Art „selbsterfüllende Prophezeiung“. Sicherlich spielen Fähigkeiten und Umstände eine wichtige Rolle, aber die Entscheidung welchen Herausforderungen wir uns überhaupt stellen und wie wir in diesem Prozess mit Rückschlägen bzw. kleinen Misserfolgen umgehen, spielen eine teils vergessene, aber dennoch große Rolle dabei, ob wir am Ende unsere Ziele erreichen oder nicht. Deshalb lohnt es sich an seiner Selbstwirksamkeitserwartung aktiv zu arbeiten. Übungen mit Attributionen machen offensichtlich, wie sich Selbstwirksamkeitserwartung im Alltag zeigt und wie wir diese zu unseren Gunsten verändern können.

Quellen:

[1] Bandura, A. Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological review 84, 191–215 (1977).

[2] Rosenbrock, R. Handbuch Partizipation und Gesundheit. vol. 74 (Huber, 2012).

[3] Bannink, F. P. Praxis der Positiven Psychologie. (Hogrefe Verlag, 2012).

[4] Blickhan, D. Positive Psychologie – ein Handbuch für die Praxis. (2015).

[5] Maddux, J. E. Self-efficacy: The power of believing you can. in Oxford handbook of positive psychology, 2nd ed 335–343 (Oxford University Press, 2002).

[6] Heller, K. A. Reattributionstraining (RAT) - ein unterrichtsintegriertes Modell der Begabtenförderung in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. in In: Fischer, Christian; Mönks, Franz J.; Grindel, Esther (Ed.), Curriculum und Didaktik der Begabtenförderung. Begabungen fördern, Lernen individualisieren (S. 304-329). Münster: Lit, 2004 304–329 (Lit, 2004).


David Berger

David studiert an der Universität in Innsbruck Psychologie im Bachelor. Sein vorheriges Studium in Molekularbiologie mit der damit einhergehenden präzisen Denkweise mischen sich mit einem großen Interessen an Buddhismus, Yoga, und weiteren Methoden der tiefen Selbsterfahrung. Er hofft diese Interessen in seiner zukünftigen Praxis in einer ganzheitlichen psychotherapeutischen Arbeit zu kombinieren.